Über die Vernachlässigung von Hunden.
Über den wichtigen Unterschied zwischen Mensch und Hund.
Angeregt zu diesem Beitrag wurde ich durch das Buch, „Der Junge, der wie ein Hund gehalten wurde.“, von Bruce D. Perry. In diesem Buch geht es um traumatisierte Kinder, die durch verschiedene Erlebnisse in der Kindheit zu auffälligen Kindern und sogar zu Mördern wurden. Neben den Darlegungen der verschiedenen Fälle, geht es hauptsächlich um die Erklärung, was im Gehirn der Kinder passiert sein könnte und um verschiedene Therapieansätze. In einem Kapitel geht es um den Jungen Justin. Justin war auf einer Pflegestation in einer Box untergebracht, da sich das Personal nicht weiter zu helfen wusste. Er schmieß mit Kot um sich und machte seltsame Geräusche. Außerdem konnte er weder sprechen, noch aufrecht laufen. In der Geschichte von Justin zeigte sich die Ursache für sein erlebtes Trauma. Seine 15 jährige Mutter gab das Kind zu Justins Großmutter, die ihn über alles liebte, aber aufgrund ihrer Fettleibigkeit bald starb. Der Partner der Großmutter fing deswegen an, sich um Justin zu kümmern. Arthur kannte sich allerdings nicht mit den Bedürfnissen von Kindern aus und zog ihn auf, wie einen Hund. Er wechselte ihm die Windeln, gab ihm Essen und nahm ihn ab und an zum Spielen raus, wie man das eben mit Hunden macht.
Im Buch wird immer immer wieder davon gesprochen, dass den vernachlässigten Kindern eigentlich das fehlt, was für jeden irgendwie selbstverständlich ist. Wir nehmen das Kind wenn es weint in den Arm, wir füttern es, wir sprechen mit ihm, wir geben Zuneigung, Aufmerksamkeit und Zuwendung. Wir wiegen es in unseren Armen und wir sind für es da, wenn es uns braucht. Für Menschen die selbst eine Vernachlässigung erfahren haben, sind viele dieser „normalen“ Dinge, äußert merkwürdig. Sich mitzuteilen scheint für viele Erwachsene eines der schwierigsten Aufgaben zu sein. So, dass man sich definitiv fragen kann, ob viele der Menschen, die in meine Beratung kommen, nicht auch eine Vernachlässigung erlebt haben.
Im Regelfall kommt ein Hund mit 12 Wochen zu den Menschen. Die meisten dieser Menschen haben kaum bis wenig Erfahrungen mit Hunden. Das trifft übrigens auch auf Menschen zu, die Kinder bekommen. Unsere Erfahrung im Bezug auf Kinder und Welpen ist häufig sehr gering. Dem entsprechend, greift der Mensch wahrscheinlich natürlich auf die eigene genetische Erziehung zurück, die sich schon allein vom Körperbau her von Hunden unterscheidet. Menschen können Kinder in den Arm nehmen, wohingegen Welpen von ihren Eltern nicht geschaukelt werden können. Die Nähe der Hündin zu ihren Welpen findet über das Ernähren und die Fellpflege statt. In keinen Fall über streicheln, jedoch schon über das nah beieinander Liegen. Was natürlich nicht bedeutet, den Hund nicht streicheln zu dürfen.
Was ich damit zum Ausdruck bringen will, ist, dass unsere Form der Erziehung, denen von Hunden, Wölfen oder Orkas nicht entspricht. Deswegen müssen wir in der Lage sein, uns auf unser Gegenüber einzulassen. Wenn wir zum Beispiel darüber nachdenken, warum heute so viele Hunde Probleme haben, könnte man das in ein Verhältnis zum Geburtenrückgang setzten. Ergo, ist der Hund der Ersatz für die menschlichen Bedürfnisse der Kindererziehung. Nur wäre dieses Bedürfnis besser bei einem Menschenkind als bei einem Welpen aufgehoben. Man stelle sich nur einmal diese Komplexität vor, wenn man gerade Vater und Mutter geworden ist und gleichzeitig noch versucht einen Welpen oder erwachsenen Hund zu erziehen. Das ganze System des Menschen stellt sich auf das Menschenkind ein, wohingegen der Hund ein klares Nein benötigt, dass er auch körperlich erfahren kann.
Auffälliges Verhalten von Kindern entsteht durch Vernachlässigung. Ergo entsteht auffälliges Verhalten des Hundes auch durch Vernachlässigung. Der Zusammenhang lässt sich noch darüber bestärken, dass Menschen, die in meine Beratung kommen, häufig Themen mit sich bringen, die ihnen nicht dabei geholfen haben, ein gesundes Selbstbild aufzubauen. Sie orientieren sich stark nach anderen, helfen permanent anderen, gehen dabei über ihre Grenzen und sind kaum in der Lage vernünftig zuzuhören. Auch das ist für mich ein deutliches Symptom, einer wie auch immer gearteten Vernachlässigung.
Die Kunst des ZU|HÖR|ENS scheint mir einen ähnlichen Weg zu gehen, wie Bruce D. Perry in seinem Buch. Statt mich auf das Verhalten des Menschen oder des Hundes zu konzentrieren und es verändern zu wollen, ist es für mich erst einmal wichtig die Geschichte der beiden zu kennen, wohingegen die Geschichte des Menschen wesentlich wichtiger ist, als die des Hundes. Zum einen kennen wir die Geschichte des Hundes nur selten und zum anderen ist es wichtig, was das aktuelle Verhalten des Hundes wirklich mit den Menschen macht. Erst da, wo sich der Mensch dem Gespräch mir gegenüber öffnet, ist er in der Lage sich dem Hund zu öffnen.
Genau diesen Prozess sehe ich bei Hunden immer wieder. Hunde die beim Menschen extrem ängstlich sind, ziehen unter Hunden eine absolute Show der Unwissenheit ab, wie sie sich richtig verhalten sollen. Sie gehen sogar in die Position, extrem zu provozieren. Auf der anderen Seite sehen wir auch bei Hunden manchmal ein Verhalten, das mehr an einen Welpen erinnert, als an einen ausgewachsenen Schäferhund. Wie beim Menschen gibt es auch unter Hunden unterschiedliche Geschwindigkeiten bei Entwicklungen. Trotzdem sollte man sich immer fragen, ob man eine hündische Erziehung praktiziert oder man sich in der Art und Weise seiner eigenen Erziehung verliert und an manchen Stellen einfach wirklich nicht weiß, was richtig ist. Da hilft meines Erachtens immer wieder der Blick zu Hunden, die uns durch ihr Verhalten genau so im Denken korrigieren, wie sie das untereinander machen.
Natürlich ändert dieser Beitrag nichts daran, dass eine Hundeerziehung, die durch menschliches Denken dominiert ist, sich eine gewisse Position erarbeitet hat und die Vernachlässigung von Hunden gesellschaftsfähig gemacht hat. Eine Erziehung die immer das Spiel und den Spaß in den Vordergrund rückt, als die Befähigung mit sich selbst und dem Leben zurecht zu kommen. Argumente wie, Hunde wüssten genau, dass wir Menschen sind, deswegen dürfe der Mensch keinen Hund korrigieren, zeugen nur vom eingebildeten Zustand des Menschen, der den Hund zugleich schlau und im nächsten Satz wieder dämlich macht. Wenn der Hund weiß, dass wir Menschen sind, schließt es absolut nicht aus, dass er nicht wüsste was eine „Korrektur“ (ich mag diesen Begriff nicht) ist. Also bleibt es den Menschen eigentlich selbst überlassen, ob sie nun denken, dass Hunde schlau oder dämlich sind. Vielleicht spielt bei der Beurteilung dieser Frage, die eigene Verfassung des Menschen mehr eine Rolle, als das wirkliche Wesen des Hundes.
In diesen Sinne menschlich bleiben und hündisch handeln.
Vielen dank fürs Zuhören.
*Ergänzung: Betrachtet man den oben eröffnetet Misstand, geht es gar nicht darum Welpengruppen zu kritisieren, sondern viel mehr darum, Hunde egal welchen Alters, genau wie Menschen egal welchen Alters, mit anderen zusammen zubringen, die ähnliche Probleme aufweisen. Zu häufig lässt sich allerdings beobachten, dass durchgeknallt Hunde mit durchgeknallten Hunden „spielen“. Genau wie Welpen, die noch nicht gelernt haben, die Grenzen anderer zu achten, lässt man sie aufeinander los ballern, ohne jemanden dabei zu haben, der für Grenzen sorgt. Auf der andere Seite erkennen wir häufig in menschlichen Beziehungen, dass diese erst aufgrund des vernachlässigten Zustands der Menschen entstehen können. Natürlich verstehen sich Menschen mit Problemen besser mit Menschen, die Probleme haben. Denn das ist ihr gemeinsamer Nenner. Auch hier wird es kritisch, wenn diese Probleme einander nicht fördern, sondern zum verzweifeln bringen, sodass man eben auch innerhalb der Beziehung auffälliges Verhalten feststellen kann, das sogar in Aggression kippen kann. Man hält also gemeinsam die eigene Vernachlässigung aufrecht, anstatt einen Partner zu wählen, der einem in bestimmten Situation unangenehm ist, weil er einen mit den eigenen Grenzen konfrontiert. Was ja zutiefst logisch ist. Doch, wie bei Justin, ist die Box nur eine vermeintliche Sicherheit, ohne die wirkliche Sicherheit in den Armen eines geliebten Menschen zu kennen.
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Kommentare
Grandios! Danke für diesen sehr ehrlichen Beitrag der einfach genau das aussagt, wie es ist. Worüber niemand gerne sprechen möchte weil es weh tun könnte. Er lässt erkennen was Menschen und was Hunde sind. Und wie gross die Angst davor, dem in die Augen zu schauen und das eigene Handeln zu hinterfragen. Mich bringt es zum Nachdenken. Ein wichtiger und auf jeden Fall wirksamer Blogbeitrag. Danke dafür.
Ein super wichtiger Beitrag! Es wird alles für den Hund getan, wodurch er vernachlässigt wird. Beobachte ich hier (Portugal) die Hunde, die draußen leben, könnte man ja meinen, diese Hunde werden vernachlässigt. Dabei stelle ich oft fest, dass es anders herum der Fall ist. Diese Hunde sind stabil und stark in sich. Sie wissen, mit sich umzugehen.
Der Mensch versucht mit seiner eigenen Vernachlässigung aus der Vergangenheit umzugehen, in dem er es über jemand anderen versucht. Dadurch vernachlässigt sich sowohl der Mensch selbst als auch den Hund. Spannendes Thema!
Tara
Sehr schöner Beitrag Stephan. Im Grunde haben wir, ganz egal wie unsere Vergangenheit aussieht, dass Bedürfnis gesehen, gehört und geliebt zu werden so wie wir sind. Unsere Hunde sind sehr soziale Wesen und haben den ganzen Tag nicht viel mehr zu tun, als uns zu beobachten. Das führt meiner Meinung dazu, dass sie sehr schnell verstehen wie sie auf uns einwirken können um das zu bekommen was wir glauben, dass sie brauchen, weil wir das Bedürfnis haben, dass zu geben, was uns selbst gefehlt hat. Ganz ähnlich machen wir das bei unseren Kindern auch, mit mehr oder weniger Erfolg. Da Hunde aber etwas ganz anderes brauchen als wir Menschen um sich in Sicherheit und verstanden zu fühlen, ensteht da ein Missverständnis das oft zu Problemen führen kann in der Beziehung zwischen Mensch und Hund. Genau darum macht es so viel Sinn sich zu fragen, was dem Menschen in seinem Leben widerfahren ist und er somit auf den Hund projiziert oder versucht auszugleichen. Wir müssen gegen unsere Natur kommunizieren, viel präsenter und klarer sein, weil man mit Worten nicht wirklich weiter kommt. Wir müssen handeln und das im besten Fall intuitiv und unmissverständlich. Wir müssen bei uns und uns klar sein, was wir wollen und was nicht und das sehr schnell umsetzen mit einer Körperlichkeit die wir uns nicht gewohnt sind und in Bezug auf unsere Kinder oder Mitmenschen nicht toleriert wird und uns, falls wir es in uns hatten, abtrainiert wurde. Ich für meinen Teil muss mir immer wieder sagen, dass ich meinen Hunden nur gerecht werde, wenn ich mit der gleichen Klarheit kommuniziere wie sie es tun und das ist eine tägliche Herausforderung. Danke für deine Gedanken sie helfen mir besser umzusetzen was ich zwar mit dem Verstand begriffen habe aber manchmal noch nicht so recht in die Handlung bringen kann.